Flexibilität, Mobilität, Positionspapiere
26.08.2019

bne-Positionspapier: Flexibilität durch Elektromobilität

Mit steigender Zahl an E-Fahrzeugen bietet die Elektromobilität perspektivisch ein erhebliches Flexibilitätspotential für die Energiewirtschaft: Unter den passenden regulatorischen Rahmenbedingungen können E-Fahrzeuge helfen, mehr erneuerbare Energien in das Energiesystem zu integrieren und bestehende Netzkapazitäten besser auszulasten. Die Kosten der Energiewende könnten so deutlich gesenkt werden. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft e.V. (bne) formuliert die zentralen Voraussetzungen, die für eine Umsetzung des Flexibilitätspotentials der Elektromobilität erforderlich sind.

Elektromobilität bietet ein großes Flexibilitätspotential für die Energiewirtschaft

Die Elektromobilität bietet eine wichtige Möglichkeit, sowohl mehr erneuerbare Energien in das Energiesystem zu integrieren als auch eine Überlastung der Netze zu vermeiden. Ausgangspunkt ist der lange Zeitraum, den Autos durchschnittlich am Tag nicht genutzt werden. Den größten Teil des Tages verbringen sie als „Stehzeuge“ etwa auf dem Parkplatz beim Arbeitgeber, vor dem Supermarkt oder zu Hause und bieten damit als E-Fahrzeuge ein signifikantes Flexibilitätspotential für die Energiewirtschaft. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Ladevorgang nach verschiedenen Parametern wie z.B. Stromangebot und Netzauslastung ausgerichtet werden. Das E-Fahrzeug könnte etwa bevorzugt während einer hohen Einspeisung von Photovoltaik- und Windstrom laden und ein Überangebot an EE-Strom so effizient nutzen. Zudem könnte vor allem zu Zeiten geringer Netzauslastung geladen werden, so dass der Nutzungsgrad bestehender Netzkapazitäten erhöht und die Notwendigkeit zusätzlichen Netzausbaus reduziert würde.

Eine intelligente Einbindung von Elektromobilität in das bestehende Energiesystem ist insbesondere hinsichtlich der schnell wachsenden Zahl von E-Fahrzeugen wichtig: Mittelfristig ist von einer erheblichen zusätzlichen Nachfrage durch E-Fahrzeuge von mehreren Gigawattstunden auszugehen. Diese ungesteuert in das Energiesystem einzubinden, könnte enorme Investitionen für die Deckung des zusätzlichen Strom- und Transportbedarfs notwendig machen. Denn es besteht zum Beispiel die Gefahr, dass Endverbraucher vor allem dann laden, wenn die Stromnachfrage bereits besonders hoch ist. Es muss also ein Anreizsystem geschaffen werden, das die Systemkosten in das Kalkül des Endverbrauchers einbringt und so eine Verhaltensänderung des Kunden bewirkt. Entstehende Kostenvorteile für das System sollten dem Kunden zumindest teilweise zu Gute kommen. So können die Kosten der Elektromobilität für den Einzelnen gesenkt und die Attraktivität gegenüber Verbrennern gesteigert werden.

Wird unter Beachtung der Stromerzeugung und/oder Netzauslastung mit Rücksicht auf Kundenbedürfnisse geladen, handelt es sich nach Sicht des bne um „intelligentes“ Laden. Aktuell wird in der Regel ungesteuert geladen und das wertvolle Flexibilitätspotential der Elektromobilität nicht genutzt.

Damit standardmäßig „intelligent“ geladen wird, sind

  1. eine marktbasierte Flexibilitätsbeschaffung im Verteilnetz sowie
  2. der freie Zugriff auf die jeweiligen Fahrzeugdaten notwendig.

Zu den Voraussetzungen im Einzelnen:

Eine marktbasierte Flexibilitätsbeschaffung im Verteilnetz setzt wichtige Anreize für ein intelligentes Lademanagement

Für ein effektives Anreizsystem muss die Stromrechnung des Endkunden am günstigsten ausfallen, wenn entsprechend aktueller Stromverfügbarkeit und/oder Netzauslastung geladen wird. Während die Stromverfügbarkeit über die Preissignale verschiedener Märkte wie etwa der Strombörse indiziert wird, fehlt bisher ein variables Preissignal, das die tatsächliche Netzauslastung widerspiegelt. Obwohl die gesetzliche Grundlage dafür bereits vorliegt: Nach § 14a EnWG müssen Netzbetreiber im Gegenzug für eine netzdienliche Verlagerung des Stromverbrauchs ein reduziertes Netzentgelt anbieten. Bisher fehlt jedoch noch die in dem Paragrafen angelegte Verordnung, die diese sehr allgemeine Regelung konkretisieren soll.

Dabei ist eine marktbasierte Ausgestaltung von § 14a EnWG essentiell. Momentan müssen Endverbraucher für eine Inanspruchnahme pauschal reduzierter Netzentgelte nach § 14a EnWG dem Netzbetreiber die komplette Schaltungshoheit über ihre steuerbare Verbrauchseinrichtung, wie bspw. eine Ladeeinrichtung, übergeben. Dieser kann dann nach eigenen Kriterien den Strombezug etwa zum Laden eines E-Fahrzeugs unterbrechen. Endverbraucher haben dabei keine Möglichkeit, ihre Bedürfnisse einzubringen oder etwa kurzfristig anderen Marktsignalen zu folgen. Um auch hier die Entflechtung von Netzbetrieb und Stromlieferung zu gewährleisten, sollte der Steuerungswunsch des Netzbetreibers unter Beachtung der Kundenbedürfnisse von Marktakteuren umgesetzt werden. Zudem ermöglicht erst eine marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung die Optimierung der System- anstatt allein der Netzkosten. Vom Kunden beauftragte Marktakteure können unter Berücksichtigung von Stromverfügbarkeit und Netzauslastung den Stromverbrauch des Endkunden steuern. Liegt die Schaltungshoheit hingegen allein beim Netzbetreiber, ist davon auszugehen, dass dieser in erster Linie die Optimierung des Netzbetriebs verfolgt und marktseitige Bedürfnisse und Chancen Dritter unberücksichtigt lässt. Eine marktbasierte Ausgestaltung von § 14a EnWG ist auch bzgl. der Kundenorientierung und damit hinsichtlich einer breiten Nutzung des Paragrafen wesentlich. Heutiger Stand der Technik ist, dass nach einer – auch kurzfristigen – Abschaltung der Ladeeinrichtung der Ladevorgang nicht automatisch weitergeführt wird. Eine Unterbrechung hätte damit zur Folge, dass die Batterie nicht vollgeladen wird. Der bne schlägt daher einen dezentralen marktbasierten Flexibilitätsmechanismus vor, in dessen Rahmen Netzbetreiber ihren Flexibilitätsbedarf an teilnehmende Verbraucher kommunizieren. Erfüllen die Verbraucher diesen Bedarf, erhalten sie einen Flexibilitätsbonus bzw. eine Netzentgeltreduktion (siehe bne-Vorschlag zur §14a-Verordnung).

Für die rechtzeitige Realisierung des großen Flexibilitätspotentials der Elektromobilität ist eine zeitnahe Verabschiedung der Verordnung nach § 14a EnWG notwendig: Aktuell handhaben die über 800 Verteilnetzbetreiber in Deutschland die Anwendung des § 14a EnWG sehr unterschiedlich. Je nach Netzgebiet haben bspw. andere Verbraucher Anspruch auf die Nutzung des Paragrafen, muss unterschiedliche Steuerungstechnik installiert werden oder fällt die Höhe der Netzentgeltreduktion verschieden aus. Mit einer Verordnung nach § 14a EnWG könnte hier notwendige Rechtssicherheit geschaffen und so eine deutschlandweite Skalierung von Geschäftsmodellen im Bereich des intelligenten Ladens ermöglicht werden. Ohne Verordnung fehlt zudem ein wichtiger Anreiz, intelligente Ladeinfrastruktur zu verbauen. Umso länger die Verordnung fehlt, desto höher wird die Zahl der „stranded investments“ in Form von nicht steuerfähiger Ladeinfrastruktur.

Handlungsempfehlung des bne

Verordnung nach § 14a EnWG muss eine marktbasierte Flexibilitätsbeschaffung im Verteilnetz erlauben

Für ein intelligentes Lademanagement ist der freie Zugang zu Fahrzeugdaten notwendig

Für ein intelligentes Lademanagement muss der Ladevorgang ausreichend genau prognostiziert werden können. Erst mit Kenntnis über die für den Ladevorgang erforderliche Energiemenge und die Ladeleistung, also die Rate, mit der der Strom vom E-Fahrzeug geladen wird, kann der Ladevorgang systemoptimal angepasst werden. Dafür sind verschiedene sogenannte Fahrzeugdaten („In-vehicle data“) notwendig: Aus dem aktuellen Batterieladezustand (State of Charge – SoC) und der Batteriekapazität lässt sich die nötige Ladestrommenge berechnen. Die Maximal- und Mindestladeleistung der Fahrzeugbatterie zeigen den Bereich an, in dem die Ladeleistung für ein intelligentes Lademanagement angepasst werden kann.

Momentan werden diese Fahrzeugdaten üblicherweise nicht an die Ladeeinrichtung übermittelt und sind für von Endkunden beauftragte Dienstleister nicht frei zugänglich. Über die Ladeeinrichtung ist in der Regel lediglich der aktuelle bzw. vergangene Stromfluss auslesbar, die restlichen Ladeparameter sind unbekannt. Der Endkunde selbst kann zwar häufig über eine Anzeige im Fahrzeug oder eine proprietäre App des Fahrzeugherstellers diese Informationen einsehen, aber externen Dienstleistern nicht den technischen Zugriff auf die Fahrzeugdaten ermöglichen. Fahrzeughersteller sollten daher zur Bereitstellung einer standardisierten technischen Schnittstelle für den Datenaustausch verpflichtet werden. Über diese können vom Endkunden beauftragte Dienstleister direkten Zugang zu den relevanten Daten bzw. dem Backend des Fahrzeugherstellers erhalten. Nur mit diesen Informationen lässt sich das größtmögliche Flexibilitätspotential der Elektromobilität nutzbar machen. Der freie Datenzugang ist Bedingung für einen starken Wettbewerb im Bereich des intelligenten Lademanagements und damit einen Markt, der den Kunden in den Mittelpunkt stellt.

Handlungsempfehlung des bne

Vom Endkunden beauftragte Dienstleister müssen den freien technischen Zugang erhalten auf

  • den aktuellen Ladezustand sowie die Kapazität der Fahrzeugbatterie
  • und die Maximal- und Mindestladeleistung der Fahrzeugbatterie

Ausblick: Rückeinspeisung von Ladestrom

Zukünftig wird nicht nur das intelligente Laden, sondern auch die intelligente Rückeinspeisung von Ladestrom in das Netz eine wichtige Rolle für die Energiewirtschaft spielen. Einsatzmöglichkeiten reichen von der Bereitstellung von Systemdienstleistungen wie Regelenergie oder Blindleistung hin zur Nutzung der E-Fahrzeugbatterie als Heimspeicher. Verschiedene Pilotprojekte zeigen bereits, dass die Rückeinspeisung von Ladestrom ein bedeutendes Flexibilitätspotential freisetzt. Um diese Flexibilität perspektivisch effektiv nutzen zu können, ist es wichtig, die Rückeinspeisung von Ladestrom bei der Entwicklung des regulatorischen Rahmens für Elektromobilität mitzudenken. Vor allem die rechtlichen Vorgaben bzgl. Batteriespeichern spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle, die aktuell wesentliches Hindernis für einen wirtschaftlichen und praxisgerechten Einsatz von Speichern sind.

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Lars Petereit

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